Achtsamkeit im Beruf

Achtsamkeit im Beruf

Die Komplexität des Arbeitsalltags und die Anforderungen im Beruf sind in den letzten Jahren permanent gewachsen – viele Berufstätige leiden unter Dauerstress. Achtsamkeit ist ein Weg, um diese Belastungen zu kompensieren. Das ihr zugrundeliegende Konzept ist mehrere tausend Jahre alt, seine Aktualität hat es jedoch bis heute nicht verloren.

Bis spät in die Nacht im Büro zu sein, ist in vielen Unternehmen gang und gäbe. Der zu bewältigende Aufgabenberg wächst ständig an, oft muss er mit immer weniger Personal bewältigt werden. Kollegen und Vorgesetzte erwarten die Fähigkeit zu permanentem Multitasking. Moderne Kommunikationsgeräte sorgen für ständige Erreichbarkeit, die von vielen Chefs trotz aller Diskussionen über das Recht auf Offline-Zeit auch eingefordert wird. Im Gegenzug steigt die Zahl derjenigen an, die diesen Folgen von Globalisierung und Digitalisierung auf Dauer nicht gewachsen sind. 

Stress demotiviert und macht auf Dauer krank

Mit den alltäglichen Belastungen nehmen auch die Fehlzeiten und Frühverrentungen wegen arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen zu. Gesundheitsexperten schätzen, dass in Deutschland bis zu 13 Millionen Berufstätige irgendwann in ihrem Arbeitsleben eine mehr oder minder ausgeprägte Burnout-Erfahrung machen mussten. Auch andere gesundheitliche Stressfolgen – beispielsweise Schlafstörungen und Herz-Kreislauf-Leiden – nehmen zu. Von der Statistik nicht erfasst werden Berufstätige, deren Arbeitsmotivation durch Stress und Überlastung auf der Strecke bleibt. 

Wie lässt sich Stress nachhaltig reduzieren?

Die Frage, wie sich Stress auf Dauer reduzieren lässt, beschäftigt Arbeitsmediziner, Volkswirtschaftlicher und natürlich auch die Firmenlenker – schließlich sind Burnout und andere stressbedingte Leiden oder die innere Kündigung von Mitarbeitern ein relevanter Kostenfaktor. Bewerbern wird oft schon in der Stellenausschreibung mitgeteilt, dass das Unternehmen an einer ausgeglichenen Work-Life-Balance seiner Mitarbeiter interessiert ist. Inwieweit diese im Alltag funktioniert, steht oft – trotz allen guten Willens – auf einem anderen Blatt. Mindestens ebenso wichtig sind daher individuelle Strategien gegen Stress, die sich in den Alltag integrieren lassen. 

Achtsamkeit – ein buddhistisches Konzept

An dieser Stelle kommt Achtsamkeit ins Spiel. In den Medien und auch in den Köpfen vieler Leistungsträger ist das Thema seit langem angekommen: Sie beginnen ihren Tag mit einer Yoga-Übung oder versuchen, sich immer wieder Zeit für eine Meditation zu nehmen. Wer Achtsamkeit in seinen Alltag integrieren will, praktiziert damit ein jahrtausendealtes Konzept, das seine Wurzeln im Buddhismus hat. Zu dessen Lehren zählen die „vier Grundlagen der Achtsamkeit“, die sich auf den Körper, die Emotionen, den Geist sowie die Wahrnehmung beziehen. 

Was bedeutet Achtsamkeit im Alltag?

Im Buddhismus ist Achtsamkeit eine Praxis, die in eine umfassende spirituelle Lehre eingebettet ist. Um Achtsamkeit im beruflichen (und auch im privaten) Alltag zu praktizieren, ist es jedoch nicht zwangsläufig nötig, sich dieser Lehre im Ganzen zuzuwenden. Der US-amerikanische Wissenschaftler Jo Kabat-Zinn hat in den späten 1970er Jahren die Methode der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (MBSR, Mindful Based Stress Reduction) entwickelt, die darauf abzielt, durch die gezielte Lenkung der Aufmerksamkeit Achtsamkeit zu trainieren und im alltäglichen Verhalten zu verankern. Inspiriert wurde er dazu von der buddhistischen und hinduistischen Tradition – ein klassisches MBSR-Training kombiniert verschiedene Meditationstechniken, Atemübungen und Yoga. 

Kabat-Zinn selbst beschreibt Achtsamkeit als eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit: Wer achtsam ist, konzentriert seine Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen auf den gegenwärtigen Augenblick und enthält sich dabei jeder Wertung. Ziel eines MBSR-Trainings ist vor allem, dass Menschen den Kontakt zu sich selbst wiederfinden – genau dieser geht im stressigen Alltag nur allzu oft verloren. 

Selbstwahrnehmung und Verzicht auf Wertung

Im Fokus praktizierter Achtsamkeit steht intensive Selbstwahrnehmung – zu einem konkreten Zeitpunkt und durch bewusstes Innehalten. Vor allem durch den Verzicht auf Wertungen geht sie über unmittelbare Stressbekämpfung jedoch hinaus. Achtsame Menschen haben die Chance, größere Lebenszufriedenheit zu erreichen, indem sie lernen, mit ihren Gedanken und Gefühlen besser umzugehen. 

Die weitaus meisten Bewertungen, die im Alltag eine Rolle spielen, rauben lediglich Zeit und Energie, sind jedoch völlig überflüssig, da der Rahmen für Veränderungen nicht gegeben ist. Um im beruflichen Kontext zu bleiben: Hohe Arbeitsbelastung, ungünstige Arbeitszeiten oder ein problematischer Chef sind meist „Fakten“, auf die Mitarbeiter keinen Einfluss haben – folglich macht es auch wenig Sinn, sich darüber täglich aufs Neue aufzuregen. Achtsamkeit in diesem Sinne schafft auch Raum, sich Bereichen zuzuwenden, in denen es für den Einzelnen tatsächlich Handlungs- und Entscheidungsspielraum gibt. 

Achtsamkeit in den Alltag integrieren

Ein MSBR-Training ist darauf angelegt, den Teilnehmern Achtsamkeitstechniken zu vermitteln und Achtsamkeit perspektivisch in alle Bereiche des Alltags zu integrieren. Dabei geht es um den Moment und somit einzelne, konkrete Situationen und Tätigkeiten. Achtsamkeit kann bedeuten, diese bewusst und sinnlich wahrzunehmen oder Routinen zugunsten dieser Wahrnehmung für einen kürzeren oder längeren Zeitraum zu unterbrechen. 

In Achtsamkeitstrainings kommen dafür verschiedene Übungen zum Einsatz. Beispielsweise sind Body Scans oder das Schaffen eines sogenannten Atemraumes formelle Bestandteile des MBSR-Trainings, lassen sich jedoch auch gut am Arbeitsplatz und in anderen Alltagssituationen praktizieren: Bei einem Body Scan geht es darum, der Befindlichkeit des eigenen Körpers nachzuspüren, sich dabei der Reihe nach einzelnen Körperteilen zuzuwenden und auch den eigenen Atem bewusst wahrzunehmen. Umfassender ist ein Atemraum, in dem sich die Aufmerksamkeit zunächst auf die aktuellen Gedanken, Gefühle und körperlichen Empfindungen und dann nur noch auf den Atem konzentriert – für die gesamte Übung sind nicht mehr als drei Minuten nötig. 

Andere Übungen beziehen sich auf die Wahrnehmung alltäglicher Routinehandlungen oder von Gegenständen. Hier ein Beispiel: Es ist möglich, einen Kaffee schnell und ohne Achtsamkeit zu trinken oder jeden einzelnen Schluck wahrzunehmen und zu genießen. Bei der „Rosinenübung“ – eine Achtsamkeitsübung, die in einer Studie zum Thema angewendet wurde – wird eine Rosine mit allen Sinnen wahrgenommen: Die Teilnehmer der Übung ertasten zuerst ihre Oberfläche, lassen danach ihren Geruch auf sich wirken und sich die Rosine schließlich langsam auf der Zunge zergehen. Derart achtsames Essen kann – vielleicht nur bei einigen wenigen Bissen – im Alltag Ruhepunkte setzen. 

Achtsamkeit bedeutet auch, bei alltäglichen Arbeiten von Zeit zu Zeit innezuhalten und sich Zeit für Wahrnehmung und Reflexion zu geben. Sich mit dem eigenen Atem zu verbinden, den eigenen Körperwahrnehmungen oder Empfindungen nachzuspüren, ist im Büro ebenso wie in Wartesituationen möglich. 

Motivation und Achtsamkeit im Beruf

Negativer Stress hat mit realer oder gefühlter Überforderung zu tun und macht auf Dauer jede Motivation zunichte. Hier gewinnt Achtsamkeit im Beruf eine weitere Dimension: Was ist einem Menschen an seinem Beruf und an seinem Arbeitsplatz wirklich wichtig? Geht es nur um einen Job oder ist mit dieser Arbeit eine persönliche Vision verbunden? Welche Veränderungen wären nötig, um einer solchen Vision Realität zu geben? Achtsamkeit in dieser Dimension kann zu einem wichtigen Impuls für persönliche Motivation und Entwicklung werden.